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Die "Herold"-Massaker im Lager II (Aschendorfermoor): Eine interdisziplinäre Annäherung der Konfliktlandschaftsforschung an ‘unsichtbare’ Tatorte.
Andreas Stele, Mirjam Adam, Jacqueline Meurisch, Marie-Christin Wolffgang, David Krull, Christoph Rass
Der besondere Dank des Projektteams gilt Dr. Andrea Kaltofen, Dr. Sebastian Weitkamp und Martin Koers von der Gedenkstätte Esterwegen, Henrik Jürgens, Anton Fischer und Leonie Plaar vom Zentrum für Digitale Lehre (Virtuos) der Universität Osnabrück sowie Dr. Birgit Kehne und Dr. Thomas Brakmann vom Niedersächsischen Landesarchiv.
Mitgewirkt bei der Prospektion Aschendorfermoor im September 2019 haben neben den Autor*innen Jens Christopeit, Andre Jepsen, Emma Hadré und Malte Schwickert.
Der NDR berichtet auf seiner Website im Rahmen der Chronologie zum Kriegsende 1945 in dem Beitrag "Der Henker vom Emsland verübt Massaker an Gefangenen" über die Vorgänge im Aschendorfermoor.
Die Interdisziplinäre Arbeitsgruppe Konfliktlandschaftsforschung hat sich an der Universität Osnabrück 2014 aus der langjährigen Zusammenarbeit des Instituts für Geographie und des Historischen Seminars mit dem Museum und Park Kalkriese entwickelt und untersucht historische Gewaltorte unterschiedlichen Charakters, deren Ereignishorizonte in Antike, Mittelalter oder Neuzeit liegen.
In den letzten Tagen vor der Befreiung kommt es im Lager II (Aschendorfermoor) der Emslandlager zu einem Massaker. Ein Soldat der Wehrmacht, der den Anschluss an seine Truppe verloren hat, gibt sich mit einer fremden Uniform als Offizier aus, schart eine Gruppe von Marodeuren um sich und ermordet zwischen dem 12. und dem 18. April 1945 mindestens 150 Gefangene des Lagers.
Die Taten des “Hauptmann Herold” sind Gegenstand zahlreicher Veröffentlichungen und Filme geworden. Die Gedenkstätte Esterwegen widmet sich heute der Dokumentation, Erforschung und Vermittlung der Geschichte dieser Ereignisse, der Tatorte und der Schicksale der Opfer.
Am Schauplatz des ehemaligen Lagers II findet sich heute eine Kriegsgräberstätte, die dem Gedenken an die Toten gewidmet ist.
Allerdings sind die genauen Tatorte und Schauplätze dieser Verbrechen bisher kaum erforscht. Obwohl zahlreiche Beschreibungen der Ereignisse in unterschiedlichen Quellen und Darstellungsformen vorliegen, sind der Ort der Erschießungen, die Lage der ursprünglichen Massengräber und die genaue Verortung der Gräber, die bei der Exhumierung der Opfer 1946 angelegt wurden, bisher unbekannt.
Eine Übersicht zu einschlägigen Quellenbeständen im Niedersächsischen Landesarchiv gibt Thomas Brakmann in seinem Beitrag „Der Hauptmann“ – Akten im Landesarchiv dokumentieren die Verbrechen des „Sonderkommandos Herold“ im der Osnabrücker Geschichtsblog.
Im September 2019 haben Wissenschaftler*innen und Studierende der Interdisziplinären Arbeitsgruppe Konfliktlandschaftsforschung (IAK) der Universität Osnabrück in Kooperation mit der Gedenkstätte Esterwegen erste Untersuchungen durchgeführt, um Tatorte und Grablagen mit Hilfe geoarchäologischer Methoden zu detektieren und zu dokumentieren.
Der Osnabrücker Ansatz der Konfliktlandschaftsforschung nähert sich gewaltüberformten Orten mit einem interdisziplinären Methodenset, das Perspektiven der Geoinformatik, der Bodenwissenschaft, der Physischen Geographie und Geoarchäologie, der Archäologie sowie der Geschichts- und der Kulturwissenschaft integriert.
Im Zentrum des Interesses stehen die materielle Dimension und die narrative Konstruktion von Gewaltorten in ihrem Verhältnis zum Ereignishorizont. Dabei fragen wir nach den Beziehungen zwischen diesen Ebenen, nach ihrer Genese und Transformationen sowie schließlich nach der Art und Weise, in der Geschichtskultur und historisches Denken aus den Spuren der Vergangenheit Geschichte und Geschichten machen.
Solche Prozesse gilt es zu dokumentieren, zu analysieren und kritisch zu diskutieren. Die Ergebnisse sollen dabei nicht im Sinne einer Vereindeutigung präsentiert, sondern in ihrer Offenheit und Ambiguität mit den Ansätzen einer kritischen public history vermittelt werden.
Seit 2014 hat die IAK eine Reihe von Pilotprojekten und Prospektionen mit diesem Ansatz durchgeführt.
Derzeit sind mit den Forschungsprojekten “Lernort ‘Schlachtfeld’? Neue Didaktik einer Konfliktlandschaft Hürtgenwald” (gefördert durch den Landschaftsverband Rheinland) sowie “Boden | erinnert. Gewaltorte als Konfliktlandschaften in der Geschichtskultur” (gefördert durch die Kulturstiftung des Bundes) zwei Vorhaben in Bearbeitung, die sich einmal einem “Schlachtfeld” des Zweiten Weltkrieges, einmal einem Lager als Gewaltort des NS-Regimes annähern und mit ihrem methodischen und historischen Kontext eine unmittelbare Rahmung für die Untersuchungen im Aschendorfermoor bieten [Projekte der IAK].
In diesem Beitrag stellen wir exemplarisch unsere Methoden und Arbeitsweise vor und bieten zugleich Einblicke in erste Befunde zu den Spuren der Massaker im April 1945 und der Strukturen des Lagers II, die sich im Boden des Emslandes erhalten haben.