Interdisziplinäre Arbeitsgruppe

KONFLIKTLANDSCHAFTEN


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Literarischer Konfliktort

Einfluss von Emotionen und Taktik auf das Schlachtgeschehen

Die verschiedenen Berichte antiker Autoren zur Schlacht am Granikos weisen zum Teil große Unterschiede in Inhalt und Schwerpunktsetzung sowie der Länge der Episode am Granikos auf. Dies resultiert aus den jeweiligen Intentionen, die die Verfasser mit ihren Texten verfolgen. So wird in den Quellen nicht nur der Konflikt der Schlacht als militärische Auseinandersetzung geschildert, vielmehr nutzen die Autoren ihre Werke, um zwischen den Zeilen eigene Diskurse auszutragen und ihre Ansichten zu propagieren.

Für den Verlauf und Ausgang der Schlacht werden deshalb je nach Perspektive des Verfassers andere Deutungsmuster geliefert, die über dessen Einstellung und Weltsicht Aufschluss geben. Waren Alexander und sein makedonisches Heer am Granikos siegreich, weil sie durch die Nutzung der Phalanx über die bessere Taktik im Kampf verfügten? Ist der Sieg der Makedonen bedingt durch ihre als überlegen erachtete Nationalität und die zugehörigen Charaktereigenschaften, während die Perser als Barbaren moralisch und körperlich unterlegen sind und sich zu sehr von ihrer Angst beeinflussen lassen? Oder ist der Verlauf der Ereignisse vor allem an Alexander den Großen geknüpft, der als charismatischer Feldherr heroische Tugenden in sich vereint und durch seine heldenhafte Abstammung dazu bestimmt ist, sein Reich zu vergrößern? Diesen und weiteren offenen Fragen kann man sich durch diskursanalytische Untersuchungen der Quellen nähern.

Die Schlacht am Granikos bei Diodor

Fürs Diodors Schlachtbeschreibung spielt der Granikos eine Schlüsselrolle. Die Perser setzen hier taktisch alles auf eine Karte. Sie warten darauf, dass die Makedonen ihre Kampfformation auflösen, um den Fluss zu überqueren, und dadurch angreifbar werden. Ale­xander ge­lingt es jedoch, die Pha­lanx am anderen Ufer wieder­her­zustellen. Der Plan der Perser geht nicht auf. Der entscheidende Moment ist verpasst. Es kommt zur Reiterschlacht am Granikos. Diese ana­ly­siert Diodor nicht wie Arrian aus Sicht eines Militärexperten. Er möchte die Leser durch den Blick auf Vor­bilder und ab­schre­ckende Beispiele der Vergangenheit zu einem besseren Leben an­hal­ten. Am Granikos kämpfen ihm zufolge zwei sich an Mut in Nichts nach­stehende Hee­re, ge­führt von in der Tapferkeit eben­bür­ti­gen Heerführern, miteinander. Warum unterliegen die Per­ser dann? Ihre Satra­pen begründen Ent­schei­dungen stets mit der per­si­schen Würde. In Diodors Augen versagen sie so jedoch bei der Ein­schät­­zung von Lage und Kräfteverhältnis. Stolz auf den eigenen Mut und Ruhmesstreben verstel­len ihnen den Blick. Die Makedonen siegen, weil sich ihre Offi­zie­re und vor allem Ale­xander eben nicht nur durch Tapfer­keit, son­dern auch durch Weitblick und militä­rische Kom­pe­tenz auszeich­nen. (Wertediskurs)

Damit bezieht Diodor eindeutig eine progriechische Position. Entspre­chend bewertet er Memnons Vorschlag einer Taktik der verbrannten Erde als den besten. Die per­sischen Satrapen aber lässt er den Rat des Generals aus Rhodos ablehnen – und nennt dies eine Fehlentscheidung. Agency auf persischer Seite hängt laut Diodor also nicht von Fähigkeiten, sondern von der ethnischen Zugehörigkeit ab, taktische Entscheidungen und wichtige Kampfeshandlungen sind nur genuin persischen Landsleuten vorbehalten. Spithrobates, der den Zweikampf mit Alexander eingeht, wird ausdrücklich „gebürtiger Perser“ genannt. Die multiethnische Zusammensetzung der beiden Armeen spielt dagegen für den Kampfesverlauf nur eine untergeordnete Rolle (ethnographischer Diskurs). Den Handlungen der Truppenkontingente wird allerdings in der Schlachtdarstellung insgesamt nur wenig Platz ein­geräumt. Auf makedoni­scher Seite tritt Alexander über weite Strecken des Berichts als einziger aktiver Akteur in Erscheinung. So kann nur er am Ende Hauptverantwortlicher des Sie­ges sein. Die Perser werden hingegen meist als „die Barbaren“ im kollektiven Plural er­wähnt. Entscheidungsträger sind wie gesagt die Satrapen. Agency im Kampfgeschehen kommt jedoch auch ihnen nur zu, wenn sie mit dem Königshaus verbunden sind; allen voran Spithrobates, der Schwiegersohn des Königs. Neben der ethnischen Herkunft bestimmt also laut Diodor die gesellschaftliche Stellung die Handlungsbefugnis auf persischer Seite. Diese Obrigskeitshörigkeit wird ihnen zum Verhängnis: Als die Kommandeure gefallen sind, fliehen die Reiter, dann aufgrund ihrer Flucht die Fußsoldaten (Agencydiskurs).

Die technischen Fähigkeiten und die tugendhafte mentale Einstellung zu vereinen, kommt nach Diodor nur den Griechen zu, weshalb sie den Persern überlegen sind. Nichts nützt diesen ihr mutiges und starkes Heer, da ihre Feldherren versagen. Deren politische und soziale Grundeinstellung führt zu ihren Fehleinschät­zun­gen. Mit der Niederlage der Perser am Granikos geht auch der persische Ruhm unter.

Die Schlacht am Granikos bei Plutarch

Der griechische Schriftsteller und Platoniker Plutarch ist in erster Linie für seine Parallelbiografien bekannt, in denen er jeweils einen bedeutenden Griechen mit einem Römer vergleicht. Diese Werke sind Charakterbiografien. Sie dienen der Zeichnung von „Lebensbildern“, wie es der Autor selber ausdrückt, welche die vorzüglichen, manchmal auch niederen, Züge der geschilderten Figuren herausarbeiten und somit als Vorbildfiguren für den Leser zu dessen Erziehung dienen sollen. Den Anspruch eines Geschichtsschreibers an historischer Darstellungen Genauigkeit erhebt Plutarch dabei nicht, was die Biografien zu sehr guter Literatur, aber zu nur sehr kritisch zu behandelnden Quellen macht, die jedoch in ihrer Breite für uns unentbehrlich sind. Die Alexanderbiografie ist im Vergleich zu Cäsar angelegt.

Bei Plutarch beginnt die Schlacht unter zwei schlechten Vorzeichen: Zum einen gilt der Monat als Friedenszeit, zum anderen ist der Tag bereits weit fortgeschritten. Alexander jedoch stellt sich schlicht darüber, resümiert, dass nach den Hellespont der Granikos nicht mehr zu fürchten sei. Durch das Vorwissen, dass Alexander siegen wird, ist der junge Visionär vom Erzähler göttlich legitimiert sich über konventionelle Grenzen hinwegzusetzen.

Plutarchs Alexander feiert seine Erfolge nicht aufgrund genialer Feldtaktik. Im Gegenteil: Wie ein verrückter reitet er durch den Fluss gegen die feindliche Kavallerie. Ohne Schlachtordnung fechten er und sein Gefolge „Mann gegen Mann“- Kämpfen gegen die Perser, gipfelnd in einem Feldherrenkampf. Später stürmt er unüberlegt in eine gegnerische griechische Söldnertruppe, welche selbstredend als tapferer als die Perser beschrieben wird und verliert dabei sein Pferd. Plutarch zeichnet uns einen tollkühnen Draufgänger, dessen unbeirrbarer Wille ihn zwingt jede Herausforderung anzunehmen, ihm aber auch die Kraft gibt diese zu bestehen.

Der Ruhm des Sieges wird bis ins Absurde überhöht: 22500 zu 34 sollen die Verluste gestanden haben, letztere wurden jeweils durch eine Statue geehrt. Die Beute ist groß und die Inbesitznahme des Umlandes verläuft schnell und reibungslos. Plutarch distanziert sich selbst von solchen allzu unrealistischen Angaben, indem er seine Quelle Aristobul nennt, bzw. wenig später das berühmte Meerwunder anzweifelt. Da solche Berichte ihm aber helfen die Macht Alexanders Willens zu zeichnen, verzichtet er auch nicht auf sie.

Für unser eigenes Anliegen die Schlacht zu verorten, was natürlich nicht Plutarchs eigenem entspricht, gibt er uns nur zwei Hinweise: Der Grund am Ufer is weich und schlammig und etwas abseits steht ein Hügel, an welchem sich das Söldnerheer sammelt. In der Tat sind vergleichbare Abschnitte am modernen Granikos zu finden. Man kann aber diese Verbindung nach über zwei Jahrtausenden nicht mehr ziehen. Es ist auch unklar, ob Plutarch tatsächlich hierüber informiert war, oder ob er nicht diese Details hinzufügte um Kopfbilder zu erzeugen. Plutarch steht schließlich ganz in einer Geschichtstradition, in der herausragende Persönlichkeiten und nicht geographische Gegebenheiten das historische Geschehen entscheiden.

Die Schlacht am Granikos bei Arrian

Obwohl Arrian über 400 Jahre nach den Ereignissen schrieb, gilt seine Anábasis als die zuverlässigste Quelle zur Schlacht am Granikos. Er war als Soldat ebenso theoretisch geschult wie praktisch erfahren und bemüht, märchenhafte Ausschmückungen zu vermeiden. Deshalb stützte er seine Darstellung der Granikosschlacht vor allem auf den Bericht des Ptolemaios, eines Feldzugsteilnehmers. Ptolemaios hatte jedoch erst im hohen Alter geschrieben, lange Zeit nach dem Tode Alexanders, und für die ersten Jahre des Asienfeldzugs auf eine noch ältere Quelle zurückgegriffen, die Alexándru práxeis von Alexanders ‚Hofhistoriker‘ Kallisthenes.

Arrians Darstellung der Granikosschlacht ist also wohl von Kallisthenes abhängig. Beide Historiker sind mit recht verschiedenen Interessen an das Thema herangegangen. Kallisthenes verherrlichte in seinem Geschichtswerk Alexander als einen Heros. Der König und dessen unmittelbare Umgebung dürften im Mittelpunkt seiner Betrachtung gestanden haben. Arrians Blickwinkel auf die Schlacht war dagegen durch die griechische Militärtheorie geformt. In seiner Vorstellung spielten Faktoren wie die Aufstellung der Soldaten und psychologische Momente eine bedeutende Rolle. Bei seiner Analyse des Geschehens musste er jedoch das Material auswerten und neu interpretieren, das seine Quellen ihm boten.

Bei Arrian überschritt Alexander – wie bei Plutarch, aber anders als bei Diodor – mit seinem Heer den Granikos noch am selben Tag, an dem er ihn erreichte. Die Schlacht begann bereits mit dem Flussübergang. Ein Kampf unter diesen Umständen musste besonders für die makedonische schwere Infanterie von Nachteil sein, weil sie darauf angewiesen war, in der Formation der Phalanx zu kämpfen. Während die anderen Autoren ihren Blick fast allein auf die Reiterei gerichtet haben, hat Arrian als Militärfachmann die Bedeutung der schweren Fußtruppen auch in diesem Treffen gesehen. Er ließ daher vor der Schlacht auf beiden Seiten Ratgeber auftreten und ausdrücklich auf Alexanders Überlegenheit in dieser Truppengattung hinweisen. Dass die Satrapen das Invasionsheer gerade am Granikos zur Schlacht stellten, erschien deshalb als eine bewusste Maßnahme, um diese Überlegenheit auszugleichen.

Bei Arrian erscheint die Granikosschlacht also vor allem in einen militärtheoretischen Diskurs eingeordnet. Das Gelände ist ein Element in diesem Diskurs. Der Wertediskurs tritt ihm gegenüber zurück. Nicht dauerhafte Charaktereigenschaften spielen in Arrians Bericht eine Rolle, sondern allenfalls wandelbare psychologische Zustände wie die Motivation der Soldaten. Lediglich im ethnographischen Diskurs besteht eine gewisse Ähnlichkeit zwischen Arrian und Diodor. In beiden Texten wird der beste Ratschlag auf persischer Seite von Memnon, einem Griechen gegeben. Bei Arrian siegt Alexanders Heer aber nicht etwa deshalb, weil es vorsichtiger vorgegangen wäre als die Armee der Perser, sondern – ganz im Gegenteil – obwohl es mit dem Flussübergang ein großes Wagnis eingegangen ist. Den Persern dagegen wird ihr Wagnis, Alexander zur Schlacht zu stellen, zum Verhängnis.